Aus_Wirkungen von Klassismus und Geschlechter-bildern in der Kinder- und Jugendhilfe“

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am 10.12.2018 im Neuen Rathaus Leipzig

 

Vorstellung/ Begrüßung

Nachdem der Fachtag durch einen sachsenweiten Zugstreik etwas später als geplant begann, begrüßten Lisa Baumann von Frauen für Frauen Leipzig e.V. und Kathrin Darlatt vom Referat für Gleichstellung von Frau und Mann der Stadt Leipzig, die Teilnehmenden herzlich. Sie stellten sich als Moderatorinnen* vor und sagten kurz etwas zur Entstehung und zum Anliegen des Fachtages. Den Fachtag hatte die Vorbereitungsgruppe der „Alle im Blick?!“-Reihe aus Vertreter*innen von der RosaLinde Leipzig e.V., der Stadt Leipzig, des Projektes Girlz*Space (Frauen für Frauen Leipzig e.V.), LEMANN Leipzig e.V., der LAG Jungen- und Männerarbeit Sachsen e.V. und der LAG Mädchen und junge Frauen in Sachsen e.V. initiiert.

Die Intention zu dieser Veranstaltung:

 

 „Klassismus“ meint klassenbezogene Diskriminierungen, Rollenzuweisungen und Marginalisierungen. Die Kinder- und Jugendhilfe hat den Anspruch und den Auftrag allen Kindern und Jugendlichen gleiche Teilhabe und Entwicklung zu ermöglichen. Doch wie groß ist die Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität? Welche Rolle spielt die soziale Herkunft und welche Auswirkungen haben in dem Zusammenhang (traditionelle) Geschlechterbilder?

 

Der Fachtag wurde organisiert, um einen Beitrag zu leisten, Klassismus und seine Auswirkungen auf verschiedenen Ebenen in der Kinder- und Jugendhilfe aufzudecken, sichtbar zu machen und zu diskutieren. Dabei stand im Fokus, vertiefend auf die Verschränkung (Intersektion) von Klassismus und Geschlechterbildern einzugehen.

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Vorträge

Der Fachtag begann inhaltlich mit zwei Impulsvorträgen, der erste war als eine Einführung in die Thematik gedacht.

 

Input 1

Einführung: Klassismus und Geschlechterbilder

„Mit „Klasssismus“ ist die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft oder aufgrund der sozialen Position (z.b. Arbeits- oder Obdachlosigkeit) gemeint. Die Diskriminierung ist vielfältig, sie umfasst Ausbeutung, Marginalisierung, Gewalt, findet sich in der Sprache und in Institutionen und multipliziert sich gegebenenfalls mit anderen Diskriminierungsformen wie Rassismus und Sexismus. Der Input soll die Überschneidung (Intersektion) von Klassismus und (Hetero-)Sexismus beleuchten. Obschon der Begriff Klassismus relativ neu in der deutschen Forschungs-landschaft ist, wurde inhaltlich bereits vor über einhundert Jahren die Mehrfachunterdrückung von Mädchen aus der Arbeiter*innenklasse thematisiert.“

 

Für das Referat war eingeladen der Soziologe Andreas Kemper, welcher in Münster lebt. Andreas Kemper arbeitet in der Redaktion des internetbasierten "Diskursatlas Antifeminismus" kritisch zum organisierten Antifeminismus, als Mitglied des AK Rechts des Duisburger "Instituts für Sprach- und Sozialforschung" kritisch zur AfD und als Initiator des "Instituts für Klassismusforschung" kritisch zum Klassismus.

In einem zweiten Vortrag wurde das Thema Klassismus direkt auf das System der Kinder- und Jugendhilfe bezogen. Eingeladen war Tanja Abou aus Berlin, welche Sozialarbeiterin, queere Poverty-Class Akademikerin, Social-Justice-Trainerin, Careleaverin und Teil des Instituts für Klassismusforschung ist.

 

Input 2

Klassismus in der Kinder- und Jugendhilfe

 

„Die Kinder und Jugendhilfe soll – laut dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – junge Menschen in ihrer Entwicklung fördern und junge Erwachsene in besonders schwierigen Situationen unterstützen. Als Fachkräfte werden wir vor die Herausforderung gestellt, diesen Auftrag im Sinne der jungen Menschen umzusetzen – geraten aber an strukturelle Grenzen: Mit 18 sollen die jungen Menschen in Ausbildung stehen, sich selbst finanzieren, eine eigene Wohnung bewohnen und möglichst nicht mehr auf staatliche Leistungen angewiesen sein.“

 

Dieser Widerspruch wurde im Vortrag genauer beleuchtet und anhand der Forderungen von Careleaver Organisationen Handlungsspielräume aufgezeigt.

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Weiterarbeit in Vertiefungsphasen

Vertiefungsphase 1

Perspektiven auf Mädchen*, Jungen*, Queere Menschen (Andreas Kemper)

 

Vertiefungsphase 2

Alles Klasse hier!? – Jugendhilfe und Helfer*innen (Tanja Abou)

 

Im Anschluss konnten sich alle Teilnehmenden entschieden, eine Vertiefungsphase zu besuchen. Es war möglich, entweder mit Andreas Kemper die Einführung zum Thema zu vertiefen und einen Schwerpunkt auf die Perspektiven von Mädchen*, Jungen*, Queere Menschen zu legen. In der Vertiefungsphase 1 legte Andreas Kemper den Fokus außerdem auf die mitgebrachten Fragen der Teilnehmenden, bezog teilweise auch folgende Fragen ein:

 

  • Wie multiplizieren sich die verschiedenen Diskriminierungsformen konkret?
  • Mit welcher Sprache / Kollektivsymbolik sind die Betroffenen konfrontiert?
  • Wie wirken sich diese Diskriminierungen habituell aus (Impostor-Syndrome / Gratifikationskrise)?
  • Welche Gegenstrategien (Protest / Widerstand) werden entwickelt?
  • Was heißt dies für die Kinder- und Jugendhilfe?

 

In der Vertiefungsphase 2 beschäftigte sich Tanja Abou zunächst mit klassistischen Denkweisen, denen die Fachkräfte in der Arbeit begegnen oder die diese selber verinnerlicht haben. Fragen waren, z.B.: An wen denken wir, wenn wir von „schwierigen Familien“ sprechen? Welche Bilder haben wir im Kopf? Beeinflussen diese Bilder unsere Arbeit?

 

Anhand von Praxisbeispielen erarbeitete die Gruppe Handlungsmöglichkeiten in den jeweiligen Arbeitsfeldern und untersuchte die Angebote auf versteckte klassistische Hürden.

Tanja Abou zeigte weiterhin Forderungen von Careleaver Organisationen und Materialien, die in einem dreijährigen Projekt von Careleavern für Careleaver erarbeitet wurden. Aus dem Projekt „Alternative Future“ - einem Forschungsprojekt zum Thema Gewalt gegen junge Menschen in der Jugendhilfe – wurden Stimmen von queeren Jugendlichen aus dem betreuten Einzelwohnen hörbar gemacht.

Ansichtsmaterial wurde von der Workshopleitung zur Verfügung gestellt.

 

 

Fachlicher Abschluss

Thementische im Saal

 

Schon zu Beginn und für den Verlauf des Fachtags wurden Stellwände im Tagungssaal aufgestellt, welche folgende Fragen der Teilnehmenden enthielten:

 

1. Offene Fragen: "Mit welchen Fragen komme ich zur Veranstaltung?"

 

2. Im Prozess bleiben: "Wo bin ich inhaltlich gerade?"

 

3. Aufgreifen von noch Unbeantwortetem, Abschluss/ Evaluation: "Was ist noch offen?"

 

 

Diese Fragestellungen und auch die bereits auf die Stellwände geschriebenen Antworten der Teilnehmenden wurden an 6 verschiedenen Thementischen im Saal wieder aufgegriffen und von den Teilnehmenden in kleinen Gruppen diskutiert. Weitere Fragen waren:

 

Welche neuen Anregungen, Herausforderungen, weitere Fragen ergeben sich? Was sind meine nächsten Schritte? Was habe ich gelernt?

 

Es fanden zu einigen Fragen noch angeregte Diskussionen statt, die sich aus der Veranstaltung ergebenden Themen der Teilnehmenden konnten somit sehr gut abgeholt werden.

 

Mit der Veranstaltung insgesamt wurde eine Diskriminierungsdimension (Intersektion) aufgegriffen, welche bisher noch wenig von der Fachstelle thematisch angeboten und bearbeitet wurde. Der Fachtag setzte hier einen Impuls. Das Thema muss vor allem bezogen auf die Kinder- und Jugendhilfe weiter vertieft und aufgegriffen werden.

 

 

 

 

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